Morbus Gaucher (sog. Gaucher-Krankheit) ist eine erblich bedingte Störung des Fettstoffwechsels. Der Körper produziert nicht genügend funktionsfähiges Enzym (beta-Glucocerebrosidase). Die Folgen sind eine pathologische Vergrößerung von Leber und Milz, Abgeschlagenheit, gestörte Blutbildung und der schmerzhafte Befall des Skelettapparats. Morbus Gaucher kann in jeder Altersgruppe und bei beiden Geschlechtern gleichermaßen auftreten. Das Voranschreiten der Krankheit ist äußerst variabel. Die Symptome wirken zu Krankheitsbeginn unscheinbar und diffus. Außerdem handelt es sich um eine relativ seltene Krankheit. In Europa ist nur einer von 40 000 Menschen betroffen. Die Mehrzahl der Mediziner ziehen die Gaucher-Krankheit differentialdiagnostisch nicht in Betracht. Es ist dementsprechend schwierig, eine korrekte Diagnose für Morbus Gaucher zu erhalten. In Deutschland werden nur 10 bis 20 Prozent der Erkrankten richtig diagnostiziert.
Ein Exkurs in die Zellbiologie: Was passiert bei Morbus Gaucher?
Morbus Gaucher ist eine autosomal rezessive Erbkrankheit. Das bedeutet, dass beide Elternteile Träger des Gendefekts sein müssen, damit dieser beim Kind phänotypisch in Erscheinung tritt. Bedingt durch eine Mutation im beta-Glucocerebrosidase-Gen, sind die Qualität und Quantität des Genprodukts (Glucocerebrosidase) beeinträchtigt. Dieses Enzym ist in bestimmten Zellorganellen, den Lysosomen, lokalisiert. Lysosome übernehmen wichtige Verdauungsfunktionen in tierischen Zellen. Dabei sollten Sie jetzt nicht an Ihren Magen denken, auch wenn dort vergleichbare Mechanismen ablaufen. Lysosomen zersetzen, mit Hilfe der unterschiedlichsten Enzyme, hauptsächlich Biopolymere in deren monomere (einfache) Bestandteile. Große Moleküle werden so in mehrere kleine Moleküle gespalten, welche dann andernorts modifiziert und verstoffwechselt werden.
Glucocerebrosidase: Kleines Enzym mit großer Wirkung
Das Schlüsselenzym der Gaucher-Krankheit, die Glucocerebrosidase, spaltet bei gesunden Menschen zuckerhaltige Fettverbindungen (Glucocerebroside) in deren Einzelkomponenten. Diese sind Zucker, in Form von Glucose und eine Fettverbindung, das Ceramid. Letztgenanntes spielt eine zentrale Rolle im Stoffwechsel. Ceramide beeinflussen das Zellwachstum, die Zellalterung und die Zelldifferenzierung. Zusätzlich moduliert es Entzündungsreaktionen und reguliert den natürlichen Zelltod. Durch die unzureichende Aktivität der Glucocerebrosidase, findet diese Spaltung bei Gaucher-Patienten nicht statt. Das Resultat dieses enzymatischen Defizits ist, dass sich Glucocerebroside in den Zellen anhäufen. Diese Substanzen sind in hohen Konzentrationen giftig und können den Zelltod induzieren. Besonders betroffen sind Zelltypen der Immunsystems, zum Beispiel Fresszellen (Macrophagen). Doch die Aufnahmekapazität dieser Immunzellen ist begrenzt. Ist ein kritischer Punkt erreicht, wandeln sich die betroffenen Zellen in sogenannte Gaucher-Zellen um. Die fehlgesteuerte Funktionsweise der Gaucher-Zellen trägt massiv zur Symptomatik dieser Krankheit bei. Diese entarteten Zellen setzen entzündungsfördernde Faktoren frei, die Schmerzen bereiten und indirekt zur Vergrößerung von Leber und Milz führen. Um Missverständnisse zu vermeiden: Ihr Körper ist nicht voll mit Gaucher-Zellen. Im Gegenteil. Diese Zellen machen nur zirka 1 Prozent der Zellen in den betroffenen Organmasse aus. Die Schwellung von Leber und/oder Milz ist auf die Immunantwort des Körpers zurückzuführen. Die Gaucher-Lipide sind Antigene des Immunsystems. Dies führt zur einer Produktion von Antikörpern gegen die körpereigenen Substanzen.
Lebenserwartung bei Morbus Gaucher
Über die Lebenserwartung bei Morbus Gaucher lässt sich keine allgemeingültige Aussage treffen. Diese wird von mehreren Faktoren beeinflusst und ist sehr variabel. Bekannte Faktoren sind das Alter bei Erstmanifestation und der Typus der Gaucher-Krankheit.
Es werden drei Typen unterschieden:
Typ I (nicht-neuronopathischer Morbus Gaucher) – zirka 94 Prozent der Patienten
Typ II (akut-neuronopathischer Morbus Gaucher) – zirka 1 Prozent der Patienten
Typ III (chronisch-neuronopathischer Morbus Gaucher) – zirka 5 Prozent der Patienten
Der nicht-neuronopathische Typ I ist die geläufigste Erscheinungsform der Gaucher-Krankheit. 94 Prozent der Betroffenen leiden an diesem Typus, welcher in jedem Lebensalter auftreten kann. Bei der überwältigenden Mehrheit der Betroffenen, beginnt die Krankheit jedoch vor dem zwanzigsten Lebensjahr. Der Krankheitsverlauf ist hoch variabel. Welche Zielorgane wie stark betroffen sind, hängt ebenfalls vom individuellen Verlauf ab. Tritt die Krankheit bereits im Kindesalter auf, erhöht dies allerdings die Wahrscheinlichkeit für einen schwerwiegenden späteren Verlauf.
Typ II und Typ III der Gaucher-Krankheit, also die neuronopathischen Formen, sind sehr selten. Akut-neuronopathischer Morbus Gaucher (Typ II) tritt normalerweise kurz nach der Geburt/im frühen Kindesalter auf und ist unmittelbar lebensbedrohlich. In diesen Fällen beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung bestenfalls zwei bis drei Jahre.
Chronisch-neuronopathischer Morbus Gaucher (Typ III) manifestiert sich üblicherweise im Säuglings- oder frühen Kindesalter. Auch hierbei ist die Lebenserwartung individuell unterschiedlich und an die Schwere des Krankheitsverlaufs gebunden. Typ III-Patienten haben eine durchschnittliche Lebenserwartung von 30 Jahren.
Die Diagnostik von Morbus Gaucher nach Beutler & Kuhl
Da es sich um einen Enzymdefekt handelt, kann von der Restaktivität auf die Gaucher-Krankheit geschlossen werden. Der diagnostische Test für Morbus Gaucher basiert auf der Messung der Glucocerebrosidase-Aktivität. Gaucher-Patienten verfügen nur über 15 Prozent der beta- Glucocerebrosidase-Aktivität eines gesunden Menschen. Dazu werden bestimmte Zellen aus dem Blut isoliert und mit einem künstlichen Substrat „gefüttert“. Dieser Ersatzstoff ist so konzipiert, dass er den körpereigenen Glucocerebrosiden zum verwechseln ähnlich ist. Mit einem gravierenden Unterschied: Er ist mit einem fluoreszierenden Farbstoff markiert. Findet die enzymatische Spaltung statt, kann die Enzymaktiviät über die Farbstoff-Intensität ermittelt werden. Dieser diagnostische Test ist schnell, simpel und günstig. Es genügt eine einfache Blutprobe, um ihn durchzuführen und Gewissheit zu haben. Daher sollte dieses Test zuerst gemacht werden, bevor weitere Maßnahmene ergriffen werden. Nachteile dieser Methode sind, dass der Typus der Gaucher-Krankheit auf diese Art nicht ermittelt werden kann. Um einen genetischen Träger-Nachweis zu erbringen, ist die Methode ebenfalls ungeeignet.
Therapiemöglichkeiten für Morbus Gaucher
Heutzutage können Gaucher-Patienten aufgrund der effizienten Therapiemöglichkeiten ein qualitativ hochwertiges, mitunter langes Leben führen. Heilbar ist diese Krankheit jedoch (noch) nicht. Vor dem Jahr 1990 konnten Ärzte lediglich auf die Symptomatik reagieren ohne die Ursachen zu beheben. Dazu wurden betroffene Gewebe (Leber, Milz) entfernt, um eine gewisse Milderung einzuleiten. Gegen den Knochenschwund und resultierende Gelenkschmerzen, wurden schlichtweg künstliche Gelenke eingesetzt. Dies behebt natürlich nicht die Ursache der Symptome. Patienten, die natürlich trotz diverser Operationen unter Symptomen litten, konnte nicht nachhaltig geholfen werden. Die medizinische Forschung entwickelt sich glücklicherweise rapide weiter. Heutzutage ist die Ursache der Gaucher-Krankheit gut erforscht und verstanden. Die zu Grunde liegenden molekularen Krankheitsmechanismen, werden als Eckpfeiler der Behandlung gesehen.
Der am besten erprobte Ansatz mit hoher Erfolgsgarantie, ist die Enzymersatz-Therapie. Hierbei wird das defekte Enzym ausgeglichen, indem künstlich hergestelltes Enzym zur Verfügung gestellt wird. Bekommt Ihr Körper ausreichend davon, können Glucocerebroside wieder verstoffwechselt werden und die Symptome klingen langsam ab. Das funktioniert ähnlich wie die kontrollierte Insulingabe bei Diabetespatienten. Patienten, welche auf diese Therapieform mit Nebenwirkungen reagieren, finden in der Substratreduktions-Therapie eine annehmbare Alternative. Diese Therapieform zielt darauf ab, die körpereigene Biosynthese der krankmachenden Fettsubstanzen zu verhindern. Dadurch wird die Entstehung neuer Gaucher-Zellen reduziert. Momentan laufen klinische Studien, welche die orale Anwendung von Substratreduktions-Präparaten (Miglustat, Eliglustat) erproben. Außerdem wird an der Entwicklung einer Gentherapie geforscht. Eine Chaperon-Therapie steht ebenfalls zur Sprache und könnte zukünftig Wirklichkeit werden.
Bildnachweis
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Quellenhttp://www.jped.com.br/conteudo/02-78-06-517/ing.pdf
https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/pdf/10.1055/s-2008-1055463.pdf
https://www.shire.de/-/media/shire/shireglobal/shiregermany/pdffiles/patient/brochures/morbus-gaucher-patientenbroschure.pdf
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/4190558
https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT00358943
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https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5600096/
https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/s-0029-1228501
https://link.springer.com/article/10.1007/PL00002150