Das Gehen ist ein Vorgang, der vollkommen intuitiv abläuft, aber dennoch mit hochkomplexen Vorgängen in der Muskulatur und im Nervensystem verbunden ist. Auch das Gleichgewichtsorgan im Innenohr und die Informationen, die von den Augen an das Gehirn gesendet werden, spielen für den Gang eine wichtige Rolle. Liegt eine Gangstörung oder Gangunsicherheit vor, kommen hierfür verschiedene Ursachen infrage.
Welche Symptome treten bei einer Gangstörung auf?
Ein normales Gangmuster wirkt flüssig und rund. Die Schrittlänge ist weder zu lang noch zu kurz, die Füße haben einen normalen Abstand zueinander und die Arme schwingen beim Gehen leicht mit. Ist das Gangmuster verändert, wirkt es unharmonisch, und auch die Ganggeschwindigkeit ist oftmals vermindert. Eine Gangstörung kann dabei unterschiedlich stark ausgeprägt sein und von einem leichten Humpeln bis hin zu schwerwiegenden, auffälligen Störungen reichen. Mediziner sprechen von einer Gangstörung, wenn der Gang in puncto Gangmuster und Ganggeschwindigkeit erheblich von der Norm abweicht.
Wodurch kann eine Gangstörung verursacht werden?
Eine Gangstörung kann verschiedenste Ursachen haben. Diese können unter anderem die Muskulatur, die Augen, das Gleichgewichtsorgan im Innenohr, die Nerven oder das Gehirn betreffen. Als häufigste Auslöser für Schwierigkeiten beim Gehen gelten Störungen des Bewegungsapparats und des Gleichgewichtssinns. Es können auch mehrere Ursachen für die Gangstörung verantwortlich sein. Der Arzt spricht dann von einer multifaktoriellen Gangstörung.
1. Gestörter Gleichgewichtssinn
Der menschliche Gleichgewichtssinn umfasst mehrere Systeme:
- die Augen (erfassen die Lage des Körpers im Raum)
- das Gleichgewichtsorgan im Innenohr (registriert Drehungen, Beschleunigungen, Abbremsen des Körpers)
- die Körperperipherie, bestehend aus den Nervenbahnen, dem Rückenmark und dem Gehirn
Damit ein normaler Gang möglich ist, muss das Gehirn beständig Informationen erhalten und korrekt verarbeiten. Nur dann kann es die Kraft der am Gang beteiligten Muskeln richtig dosieren.
Fällt lediglich eines der genannten Systeme aus, können die verbleibenden Systeme diesen Ausfall in der Regel gut kompensieren. Die Gangstörung macht sich dann nur geringfügig oder gar nicht bemerkbar. Fallen zwei Systeme aus, kommt es zu Gleichgewichtsstörungen, die auch das Gangbild beeinträchtigen.
2. Orthopädische Ursachen
Gangstörungen und Gangunsicherheiten werden besonders häufig durch orthopädische Probleme verursacht. Manchmal ist einfach die Muskelkraft nicht ausreichend, um einen flüssigen Gang zu gewährleisten. In anderen Fällen ist die Beweglichkeit der Gelenke eingeschränkt, was das Gangbild ebenfalls negativ beeinflussen kann. Hier ein Überblick über häufige orthopädische Ursachen für eine Gangstörung:
- Arthrose
- Rheuma
- Bandscheibenvorfall
- Spinalkanalstenose (eingeengter Rückenmarkskanal)
- Muskeldystrophie
- Durchblutungsstörungen (periphere arterielle Verschlusskrankheit)
- Verletzungen (der Knochen, Gelenke, Muskeln oder Sehnen)
3. Neurologische Ursachen
Neurologische Erkrankungen betreffen das Gehirn und/oder das Nervensystem. Die Liste der neurologischen Auslöser für eine Gangstörung ist sehr lang und reicht von Vitaminmangel über Schädigungen des Innenohrs bis hin zu Multipler Sklerose. Weitere Erkrankungen, die mit einer Gangstörung einhergehen können, sind:
- Morbus Parkinson (typisch ist ein kleinschrittiger, nach vorn gebeugter Gang)
- Polyneuropathie (Nervenschäden, etwa durch Diabetes)
- Schlaganfall
- Gehirntumor, Rückenmarktumor
- entzündliche Nervenerkrankungen (zum Beispiel Borreliose)
- Alkoholismus (Schädigung des Gehirns: Wernicke-Korsakow-Syndrom)
Auch einige Medikamente können als Nebenwirkung den Gang beeinträchtigen. Dies gilt vor allem für Präparate, die auf das Gehirn einwirken – also beispielsweise für Neuroleptika, Antiepileptika und Benzodiazepine.
4. Psychische Ursachen (Psychogene Gangstörung)
Liegen für eine Gangstörung keine körperlichen Ursachen vor, handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um eine psychogene Gangstörung. Diese hat einen psychischen Auslöser, etwa Depressionen oder eine posttraumatische Belastungsstörung. Der Schweregrad der psychogenen Gangstörung schwankt meist (Fachbegriff: Fluktuation). So leiden die Betroffenen an einigen Tagen unter sehr stark ausgeprägten Symptomen, während der Gang an anderen Tagen vollkommen unauffällig ist. Die psychogene Gangstörung ist medizinisch noch nicht ausreichend erforscht, weshalb sich die Therapie als schwierig erweisen kann. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass eine Psychotherapie den Betroffenen durchaus helfen kann, wieder zu einem normalen Gangbild zurückzufinden.
Wann zum Arzt?
Jegliche Gangstörung sollte zum Anlass genommen werden, einen Arzt aufzusuchen, um eine ernsthafte Erkrankung auszuschließen. Eine frühzeitige Diagnose erhöht die Heilungschancen und kann das Voranschreiten vieler Erkrankungen verlangsamen oder gänzlich verhindern. Eine rechtzeitige Therapie ist auch deshalb wichtig, weil Gangstörungen häufig zu sozialer Isolation führen: Die Betroffenen können das Haus nicht mehr verlassen, büßen an Mobilität und Unabhängigkeit ein oder schämen sich für ihr auffälliges Gangbild. Auch die erhöhte Unfallgefahr darf nicht vernachlässigt werden. Ist offensichtlich, dass die Gangstörung eine orthopädische Ursache hat, suchen Sie einen Orthopäden auf. Ansonsten kann auch der Hausarzt erster Ansprechpartner sein. Er wird Sie bei Bedarf an den entsprechenden Facharzt, beispielsweise an einen Neurologen, überweisen.
Welche Diagnoseverfahren werden bei einer Gangstörung angewandt?
Um eine Diagnose stellen zu können, muss der Arzt zunächst eine ausführliche Anamnese durchführen. Er wird Ihnen einige Fragen zu Ihren Symptomen stellen, beispielsweise:
- Seit wann besteht die Gangstörung?
- Besteht die Gangstörung durchgehend oder tritt sie schubartig auf?
- Wie ist die Gangstörung entstanden: plötzlich oder schleichend?
- Tritt die Gangstörung nur in bestimmten Situationen auf?
- Ist die Gangstörung mit Schmerzen verbunden?
- Haben Sie Vorerkrankungen?
- Haben Sie in letzter Zeit Medikamente eingenommen? Wenn ja, welche?
- Leiden Sie unter weiteren Beschwerden?
Es folgt eine körperliche Untersuchung. Der Arzt wird routinemäßig Ihr Herz und Ihre Lunge abhören und Ihren Bauchraum abtasten. Außerdem wird er sich Ihr Gangbild ganz genau ansehen, denn dies kann ihm bereits wichtige Anhaltspunkte liefern.
Des Weiteren kann der Arzt verschiedene Test durchführen, zum Beispiel den ‚Timed-up-and-go‘-Test. Dazu misst der Arzt die Zeit, die der Patient benötigt, um von einem Stuhl aufzustehen, drei Meter zu gehen und sich anschließend wieder hinzusetzen. Gesunde Menschen benötigen dazu maximal 20 Sekunden, ab 30 Sekunden liegt eine Gangstörung vor.
Der Gleichgewichtssinn kann mithilfe des Romberg-Stehversuchs überprüft werden. Dazu streckt der Patient stehend beide Arme nach vorn aus und schließt nach Aufforderung die Augen. Kommt es zu Gleichgewichtsproblemen, liegt vermutlich eine Störung der Informationsleitung im Rückenmark vor. Hat der Patient bereits bei offenen Augen Schwierigkeiten, das Gleichgewicht zu halten, liegt die Ursache eher im Kleinhirn.
Auch der sogenannte Unterberger Tretversuch kann dem Arzt wichtige Hinweise liefern. Hierzu muss der Patient mit geschlossenen Augen etwa 50 mal auf der Stelle treten und dabei möglichst seine Position beibehalten. Zusätzlich erfolgen diverse neurologische Untersuchungen zur Beurteilung der Reflexe, der Muskelkraft und der Sensibilität.
Je nach Ergebnis der Erstuntersuchung können im Anschluss folgende Diagnoseverfahren angeordnet werden:
- Computertomografie (CT)
- Magnetresonanztomografie (MRT)
- Elektroneurographie (Messung der Nervenleitungsgeschwindigkeit)
- Blutuntersuchung
- Nervenwasseruntersuchung
- Elektroenzephalografie (Messung der Hirnströme)
- Elektromyografie (Messung der Reizübertragung von den Nerven zu den Muskeln)
- Sehtest
- Hörtest
Wie wird eine Gangstörung therapiert?
Die Therapie einer Gangstörung richtet sich immer nach der Ursache. Einige Ursachen sind reversibel, so etwa ein Vitaminmangel. Liegt ein orthopädisches Problem vor, lassen sich die Beschwerden eventuell durch Physiotherapie, Akupunktur oder – als letzter Ausweg – durch einen operativen Eingriff lindern. Auch physikalische Therapien (Massagen, Wärmeanwendungen, Bewegungsbäder) haben sich bei orthopädischen Problemen bewährt. Einige Krankheiten wie beispielsweise Multiple Sklerose oder Parkinson sind nicht heilbar, es gibt jedoch viele therapeutische Maßnahmen, mit deren Hilfe sich ihr Voranschreiten verlangsamen lässt.
Welche Selbsthilfemaßnahmen sind bei einer Gangstörung sinnvoll?
Auch dann, wenn Ihre Gangstörung durch eine Erkrankung ausgelöst wird, können sie zusätzlich zur ärztlich angeordneten Therapie einiges tun, um die Symptome zu lindern. Besonders wichtig ist ein gesunder Lebensstil mit einer ausgewogenen Ernährung und viel Bewegung. Regelmäßiger Sport kräftigt die Muskulatur und trainiert den Gleichgewichtssinn. Wenn Sport für Sie aus gesundheitlichen Gründen nicht infrage kommt, integrieren Sie ausgedehnte Spaziergänge in der Natur in Ihren Alltag oder betreiben Sie moderates Nordic Walking – die Stöcke bieten Ihnen dabei einen guten Schutz vor Stürzen.
Hat Ihr Arzt Ihnen eine Physiotherapie verordnet, lassen Sie sich vom Physiotherapeuten Übungen zeigen, die Sie auch selbstständig zu Hause durchführen können. So tragen Sie kontinuierlich zur Kräftigung Ihrer Muskeln, Gelenke und Ihres Gleichgewichts bei. Ganz nebenbei kann sich so auch Ihr Gangbild Schritt für Schritt verbessern.
Des Weiteren gilt: Trinken Sie nur sehr wenig oder besser gar keinen Alkohol und verzichten Sie aufs Rauchen. Auch koffeinhaltige Getränke wie Kaffee und Cola sind weitgehend zu meiden. Sollte Ihre Gangstörung psychisch bedingt sein, achten Sie auf einen ausreichenden Stressausgleich. Sport ist eine gute Möglichkeit, um das innere Gleichgewicht zu fördern, aber auch Entspannungstechniken und Hobbys, die Sie voll und ganz ausfüllen, können Ihre Beschwerden lindern. Bedenken Sie dabei, dass insbesondere der Ausgleich von Defekten im Nervensystem viel Zeit und Geduld erfordert. Verlieren Sie also nicht den Mut, auch dann nicht, wenn Sie bei der Behandlung Ihrer Gangstörung nur langsam Fortschritte machen.
Ich leide unter einer Gangstörung: Wie kann ich Stürzen vorbeugen?
Personen mit einer Gangschwäche oder Gangunsicherheit haben ein erhöhtes Risiko für Stürze. Eine gute Sturzprophylaxe ist daher unerlässlich – nicht zuletzt, damit der Betroffene sich sicher fühlt und sich nicht aus seinem sozialen Umfeld zurückzieht. In der Wohnung sollten sämtliche Stolperfallen beseitigt werden. Dies gilt für Teppiche und Teppichbrücken, die nur lose aufliegen, sowie für herumliegende Gegenstände und Kabel. Für das Bad empfehlen sich Haltegriffe, etwa in der Dusche, neben der Badewanne und der Toilette. Auch am Übergang von der Wohnung zum Balkon oder zur Terrasse profitieren Personen mit Gangstörung von fest installierten Haltegriffen. Wichtig: Tragen Sie gut sitzende, geschlossene Schuhe mit flachem Absatz und rutschsicherer Sohle und verzichten Sie auf lange Röcke und weite Hosenbeine. Haben Sie ein stark erhöhtes Sturzrisiko, können Sie auch speziell gepolsterte Hosen tragen, die die Hüftgelenke und den Oberschenkelknochen bei einem Sturz vor Verletzungen schützen.
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